Produktkonstruktion nach Kundenvorgaben - Inwiefern trägt der Lieferant die Verantwortung für das Konzept des OEM?

Vertragsrecht Automotive

Landgericht Stuttgart: 10 O 193/13


Das LG Stuttgart fällte eine aus Sicht des Lieferanten erfreuliche Entscheidung in Bezug auf die Haftung des Lieferanten für einen Mangel an einem Bauteil, das anhand der Vorgaben des Kunden in dessen Lastenheft entwickelt und gefertigt wurde. 

Tatbestand
In dem Verfahren ging es um die Klage eines OEM gegen einen Lieferanten auf Schadensersatz in Höhe von 108.832.985,50 Euro wegen Feldmaßnahmen, die auf der Mangelhaftigkeit eines Teils des Zulieferers beruhten. Konkret verlangte die Klägerin Aufwendungen wegen mangelhafter Entwicklung und Herstellung eines Kühlwasserauslaufstutzens für einen Dieselmotor durch die Beklagte. 
Die Beklagte ist eine Herstellerin von Spritzgussteilen und wurde von der Klägerin einige Jahre zuvor mit der Entwicklung des Kühlwasserauslaufstutzen beauftragt. Diese Entwicklung erfolgte gemäß den Vorgaben im Lastenheft der Klägerin. Im Anschluss gab die Klägerin den Kühlwasserauslaufstutzen für die Serienproduktion frei und verbaute dieses von der Beklagten sodann hergestellte und gelieferte Bauteil mit Beginn der Serienproduktion in den von der Klägerin gefertigten Motor. Mit diesem Motor wurden Fahrzeuge der Klägerin in verschiedenen Baureihen im PKW-Bereich und im VAN-Bereich ausgestattet. 
In der Folge kam es bei Betrieb der Motoren an der Schnittstelle des Kühlwasserauslaufstutzens mit dem Zylinderkopf zum Austritt von Kühlwasser. Die Klägerin führte nach ihrem Feldprüfbericht einen Feldregress sowie Kundendienstmaßnahmen durch, in deren Verlauf bei den betreffenden Fahrzeugen die Kühlwasserauslaufstutzen durch modifizierte Bauteile ersetzt wurden. In der Folge wurde über mehrere Jahre von den Parteien nach der Ursache geforscht und Versuche zur Mangelbehebung unternommen.
Die Klägerin behauptete, die gelieferten Kühlwasserauslaufstutzen seien mangelhaft. Der Beklagten seien insoweit Konstruktions-sowie Herstellungsfehler unterlaufen, weshalb sie der Klägerin die durch diese Umstände entstandenen Aufwendungen ersetzen müsse.


Gründe 
Das Gericht wies die Klage vollumfänglich ab. Der konstruktionsbedingte Ausfall der Dichtverbindung zwischen Kühlwasserauslaufstutzen und Zylinderkopf war aus Sicht des Gerichts zwar in der Tat als Mangel anzusehen. Für diesen Mangel sei die Beklagte jedoch nicht verantwortlich, da die Konstruktion des Bauteils gemäß den verbindlichen Vorgaben der Klägerin erfolgte.
Die Mangelhaftigkeit führe nicht zu einer Einstandspflicht der Beklagten, da die Ursache für den Mangel im Verantwortungsbereich der Klägerin liege und der Beklagten nicht zugerechnet werden könne. Die Beklagte habe insbesondere keine Prüfungs- und Hinweispflichten verletzt. Hinweispflichten treffen einen Lieferanten dann, wenn Leistungsvorgaben des Auftraggebers unzureichend sind. Voraussetzung dieser sog „Bedenkenhinweispflicht“ ist jedoch, dass Fehler der Vorgaben erkennbar sind. Inhalt und Umfang der Prüfungs- und Hinweispflichten richten sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Beratungsbedarf des Kunden und dem Fachwissen des Lieferanten. Die Prüfungsverpflichtung findet ihre Grenze im Grundsatz der Zumutbarkeit.
Die Klägerin hatte aus Sicht des Gerichts mit dem Bauraumdatensatz und den im Lastenheft gestellten Forderungen ein konstruktiv unzulängliches Gesamtkonzept vorgegeben. Die Klägerin hatte das Gesamtkonzept des Motors sowie den Bauraumdatensatz und das Lastenheft auch völlig eigenständig und ohne Mitwirkung durch die Beklagte entwickelt. Die Beklagte, die erst im letzten Schritt des Entwicklungsprozesses eingeschaltet wurde, durfte davon ausgehen, dass die konstruktiven Vorgaben der Klägerin von deren Experten sachkundig erstellt wurden. Als Herstellerin von Spritzgussteilen hatte die Beklagte demgegenüber bezüglich der Dichtigkeit zwischen dem Flansch des Kühlwasserauslaufstutzens und dem Zylinderkopf zwar Spezialwissen, verfügte gegenüber dem Kunden aber nicht über ein überlegenes Wissen, sodass auch keine Hinweispflicht der Klägerin bestand. Nur offenkundige Mängel hätten demnach angezeigt werden müssen. Die hier relevanten Mängel an dem Gesamtkonzept der Klägerin waren jedoch nicht offenkundig und mussten demnach auch nicht angezeigt werden.  


Relevanz der Entscheidung
Das Urteil ist eines der wenigen Urteile, die sich mit der Frage beschäftigen, inwiefern ein Zulieferer für die Mangelhaftigkeit eines gemäß dem Lastenheft des Kunden gefertigten Bauteils haften muss. Die kundenseitigen Vertragswerke sehen meist eine umfassende Haftung des Lieferanten für sämtliche Mängel, ungeachtet deren Ursache, vor. Insofern ist dieses Urteil für Lieferanten eine wichtige Klarstellung, da Entwicklungsarbeiten auf Basis detaillierter Kundenvorgaben die Regel sind und in den meisten Fällen keine Möglichkeit seitens des Lieferanten besteht, diese im Detail zu prüfen oder Anpassungen zu verlangen. In dieser Situation ist es folgerichtig, die Verantwortung für die Richtigkeit der Vorgaben beim OEM zu belassen. Dennoch bestehen seitens des Lieferanten seinem Fachwissen entsprechende Prüf- und Hinweispflichten, die er keinesfalls vernachlässigen darf. Insgesamt hat das Gericht auf diese Weise eine sehr praxisgerechte Verteilung der Verantwortlichkeiten beider Parteien vorgenommen. 

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