Mahnung auch schon vor Fälligkeit möglich? (BGH, Urteil vom 20.04.2023, I ZR 140/22)

Produkthaftungsrecht Automotive

Der Schuldnerverzug nach § 286 BGB und sich daraus ergebende Schadensersatzverpflichtungen setzen gem. § 286 Abs. 1 BGB grundsätzlich neben dem Eintritt der Fälligkeit der Leistung auch eine Mahnung (nach Fälligkeit) voraus. Neben weiteren Ausnahmefällen sieht § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB vor, dass bei besonderen Gründen (unter Abwägung der beiderseitigen Interessen) ein Verzug auch ohne Mahnung eintreten kann.

Der Bundesgerichtshof hatte in dem vorgestellten Urteil nun die Frage zu entscheiden, ob ein Verzug aus solchen besonderen Gründen auch dann eintreten kann, wenn der Schuldner bereits vor Fälligkeit erklärt, nicht leisten zu können und der Gläubiger im Gegenzug auch schon vor Fälligkeit die Mahnung ausspricht.

Das Urteil

Der Kläger ist Transportversicherer eines Automobilzulieferers, der sich dazu verpflichtet hatte, in Mexiko produzierte Fahrzeuge eines OEM mit Cockpitmodulen auszurüsten. Der Zulieferer schloss hierfür mit der Beklagten, einem Logistikunternehmen, eine Rahmenvereinbarung, in dem sich wiederum die Beklagte dazu verpflichtete, die Produktionsteile für die Montage von Fahrzeug-Cockpits aus dem europäischen Ausland über Land nach Bremen zu transportieren, dort in Container zu verpacken und nach Mexiko zu verschiffen. Bzgl. einer Lieferung informierte die Beklagte den Zulieferer, dass die geplante Verschiffung mittels Container in der Kalenderwoche 25 nicht möglich sei, da das entsprechende Schiff aufgrund eines technischen Defekts ausfiel. Stattdessen würde die Ware auf ein anderes Schiff verladen werden, welches allerdings erst in der Kalenderwoche 26 abfahren sollte. Hierdurch hätte sich die Leistung so verzögert, dass der Kläger seinen eigenen Kunden nicht mehr beliefern könnte und ein mit hohen Kosten verbundener Produktionsstopp beim Kunden drohte. Aus diesem Grund forderte der Kläger den Beklagten dazu auf, die Lieferung per Luftfracht durchzuführen, um die noch nicht fällige Leistung rechtzeitig zu erbringen. Dies wurde vom Beklagten abgelehnt. Daraufhin beauftragte der Kläger die Lieferung per Luftfracht selbst und machte im Anschluss die hierdurch entstandenen Mehrkosten gegenüber dem Beklagten als Verzugsschaden gem. § 286 BGB geltend.

Der Bundesgerichtshof bejahte den geltend gemachten Schadensersatz aus § 286 BGB unter dem Aspekt des Kostenersatzes für Maßnahmen der Schadensminderung.

Die Entscheidung ist insbesondere aus dem Grund beachtlich, dass die Systematik des § 286 BGB grundsätzlich eine Mahnung erst nach Eintritt der Fälligkeit vorsieht. Eine davor erklärte Mahnung ist wirkungslos (BGH, Urteil vom 17.12.1996 – X ZR 74/95). Die Aufforderung der Klägerin, die Lieferung per Luftfracht durchzuführen, um die Leistung noch rechtzeitig zu erbringen, kann zwar als Mahnung angesehen werden. Da diese allerdings vor der Fälligkeit der Leistung erfolgt war, musste sie aus den genannten Gründen grundsätzlich als wirkungslos angesehen werden. Das Berufungsgericht (OLG Hamburg) hatte darum den Verzug des Beklagten noch verneint.

Von dieser Beurteilung weicht der Bundesgerichtshof allerdings ab. Er stellt klar, dass nur aufgrund des Umstands, dass die Mahnung grundsätzlich nach Fälligkeit erklärt werden muss, die besonderen Gründe, die zur Entbehrlichkeit der Mahnung führen können (vgl. § 286 Abs. 2 BGB) nicht aus der Zeit nach der Fälligkeit stammen müssen. Vielmehr können diese auch schon in der Zeit vor der Fälligkeit entstanden sein, sofern sie noch bis zum Fälligkeitszeitpunkt fortdauern.

Als weiterer Einwand gegen die Ersatzpflicht für die Luftfrachtkosten kam in Betracht, dass diese bereits vor dem Fälligkeitsdatum entstanden waren und daher auch nicht durch den Verzug als verursacht angesehen werden konnten. Dieser Sichtweise hat der Bundesgerichtshof allerdings eine Absage erteilt unter Hinweis auf § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB. Mit der Obliegenheit des Geschädigten Schadensminderungs- oder -abwendung zu betreiben, geht die Pflicht des Schädigers einher, dem Geschädigten den Aufwand für seine Maßnahmen zur Schadensminderung oder -abwendung zu ersetzen

Insofern können die schadensmindernden Maßnahmen für die Kostenersatz verlangt wird bereits vor Fälligkeit durchgeführt wurden.

 

Relevanz

Der hier entschiedene Sachverhalt ist äußerst praxisrelevant. Insbesondere im Automotive-Bereich drohen mit Eintritt des Verzuges ganz erhebliche Kosten, da die Lieferketten in der Regel auf sog. „Just-in-time“ oder „Just-in-sequence“ Verträgen beruhen. Verspätet sich eine Lieferung drohen unmittelbar Produktionsstillstände und damit einhergehend erhebliche Stillstandskosten

Durch die Entscheidung stellt der Bundesgerichtshof klar, dass ein besonderer Umstand, der das Erfordernis einer Mahnung (nach Fälligkeit) entbehrlich macht (§ 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB) auch darin liegen kann, dass bereits vor Fälligkeit die Mahnung erklärt wurde.  

Mindestens ebenso praxisrelevant ist die Frage nach der Ersetzbarkeit solcher schadensmindernden Maßnahmen. Wie der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung klargestellt hat, sind zwangsläufig auch solche Maßnahmen ersetzbar, die bereits vor Eintritt der Fälligkeit der Leistung zur Vermeidung des Verzuges durchgeführt wurden, um einen Schaden abzuwenden oder aber zumindest einen höheren Schaden zu mindern.

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